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Beschluss: Neustart für Hessen nach dem Corona-Einbruch – sozial, ökologisch, öffentlich, gerecht

Beschluss des Landesvorstands der LINKEN. Hessen vom 20.06.2020

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Die weltweite Corona-Pandemie ist nicht einfach ein überraschender, externer Schock, für den niemand etwas kann. Sie traf im Frühjahr 2020 auf bereits bestehende Krisenentwicklungen und verstärkte diese enorm. Soziale Ungleichheit weltweit, die globale Klimakrise, eine Form der Globalisierung, die vor allem den Interessen transnationaler Konzerne dient, ein wirtschaftliches Modell der privaten Gewinnerzielung und des ständigen Wachstums sowie der deutliche Einbruch der wirtschaftlichen Entwicklung im 2. Halbjahr 2019 sind auch ohne das Virus tiefgreifende Herausforderungen. Deshalb kann es nach dem wirtschaftlichen Einbruch nicht einfach um die Wiederbelebung der Konjunktur gehen. Eine unterschiedslose Förderung des alten Wachstums, um möglichst schnell wieder auf das ökonomische Vor-Corona-Krisenniveau zu kommen, würde die Klimakrise nur befeuern, die soziale Ungleichheit weiter verschärfen und internationale Konflikte vertiefen.

Der tiefe Einschnitt der Pandemie und die zwar notwendigen aber dramatischen Einschränkungen elementarer Rechte zwingen dazu, bisherige Produktions- und Konsummuster in Frage zu stellen, in einer gesellschaftlichen Debatte zu kritisch zu überprüfen und zu verändern. Dazu gehört auch die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die weiterhin zu Lasten von Frauen und Eingewanderten, von schlecht bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit geht.

Neben weiter notwendigen Rettungsmaßnahmen (z.B. für Hotels und Gaststätten oder Soloselbständige und Kleinunternehmen) geht es jetzt auch um ein sozial-ökologisches Investitions- und Konjunkturprogramm, um den Neustart aus der Krise einzuleiten. Dazu schlägt DIE LINKE. Hessen die folgenden fünf Prinzipien als Leitlinie und die entsprechenden Einzelmaßnahmen vor.

1. Was für alle systemrelevant ist, gehört in öffentliche Hand – Gesundheitswesen ausbauen, Bahn und ÖPNV stärken, Bildung und Wissenschaft fördern, Kommunen gut finanzieren

Spätestens die Corona-Pandemie hat die Probleme unseres Gesundheitswesens offen zu Tage treten lassen. Markt, Wettbewerb und Privatisierung waren ein falscher Weg mit fatalen Folgen. Wir wollen einen Richtungswechsel: Weg von Rentabilität und Profitabilität - hin zu einer Gemeinwohlorientierung und öffentlicher Verantwortung und Eigentum. Menschen vor Profite.

Dabei steht das Gesundheitswesen exemplarisch für die Gesamtheit systemrelevanter Güter und Leistungen für alle, wie Bildung, Wohnen, öffentlicher Verkehr, Strom- und Wasserversorgung. Sie müssen in öffentlichem, gemeinnützigem oder genossenschaftlichem Eigentum organisiert werden, unter demokratische Kontrolle und am Bedarf ausgerichtet werden. Manche nennen diesen Vorrang der Versorgung aller mit lebensnotwendigen Gütern Infrastruktursozialismus, andere sprechen vom „alltäglichen Kommunismus“ (Streeck) oder von Fundamentalökonomie.

DIE LINKE tritt im Bund und im Land für einen großen mehrjährigen Plan zum Erhalt und Ausbau der öffentlichen Infrastruktur (Gesundheit, Bildung, Soziales) ein und verbindet diese mit den notwendigen Maßnahmen gegen die Klimakrise und für einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. In Hessen gehören dazu für uns Investitionen u.a. in:

  • Krankenhäuser (240 Mio. jährlich) und eine Programm zur Rückführung privatisierter Kliniken, wie etwa das Uniklinikum Gießen-Marburg (100 Mio. jährlich).
  • Kommunen: Vor Ort wird ein Großteil der Investitionen getätigt. Wir brauchen ein großangelegtes kommunales Investitionsprogramm (200 Mio. jährlich). Zusätzlich braucht es Investitionen in Schwimmbäder und Sportstätten (35 Mio. jährlich)
  • Hohe Investitionen in die öffentliche Infrastruktur brauchen eine starke öffentliche Verwaltung (Vorschlag 30 Mio. jährlich für 500 Stellen).
  • Schulen: Viele Schulen sind in keinem guten Zustand. Das wollen wir mit einem Schulsanierungsprogramm (500 Mio.) ändern. Dazu muss zunächst der Bedarf erhoben werden. Darüber hinaus sind zusätzliche Stellen, für Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen und IT-Beauftragte erforderlich, um in und nach der Corona-Pandemie deutlich kleinere Lerngruppen sowie den Ausbau und die langfristige Wartung der digitalen Infrastruktur zu ermöglichen.
  • Sozialökologischer Wohnungsbau: Um die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum sicherzustellen ist ein sozialökologisches Wohnungsbauprogramm für 10.000 Wohnungen im Jahr notwendig. Neue Gebäude - auch für den sozialen Wohnungsbau – müssen mit einem möglichst großen Anteil umweltverträglichen und erneuerbaren Baustoffen, allen voran Holz, im Passivhausstandard errichtet werden. Bestehende öffentliche Wohnungen müssen energetisch aber warmmietenneutral saniert werden.    
  • Um Mobilität für alle zu gewährleisten, unsere Innenstädte von Lärm und Abgasen zu befreien und den Klimawandel einzudämmen, wollen wir den absoluten Vorrang für den öffentlichen Nahverkehr in Stadt und Land. Konkret bedeutet das: Schrittweise Einführung des "Nulltarifs" (100 Mio. für Modellprojekte); Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur (60 Mio. jährlich) Förderung von digitalen, öffentlichen Plattformen für die Mobilitätswende (10 Mio. jährlich)
  • Der Ausbau einer erneuerbaren und dezentralen Energieversorgung ist ein zentraler Schlüssel für den Kampf gegen den Klimawandel und einer bezahlbaren sozialökologischen Energieversorgung für alle. Daher wollen wir investieren in: Solaranlagen auf öffentlichen Dächern (10 Mio.) und die pachtfreie Überlassung von geeigneten Flächen für  Windkraftanlagen an die Kommunen durch den Landesbetrieb Hessenforst

2. Neustart der Arbeit: Systemrelevante Tätigkeiten besser bezahlen – Mindestlohn erhöhen

Klatschen schafft kein Essen her! Die Krise zeigt überdeutlich, worauf es wirklich ankommt: Ohne die Mitarbeiter*innen in der Pflege, dem Einzelhandel, der Logistik, dem Verkehrssektor oder der Reinigung geht schnell nichts mehr. Dies sind zu 75 Prozent Frauen. Sie arbeiten im direkten Kontakt mit Menschen, ohne sich effektiv vor Infektionen schützen zu können. Die Corona-Krise geht deutlich auf Kosten der Frauen, die eher arbeitslos werden oder mit Kurzarbeit ohne Aufschlag ihre Familie nicht selten alleinerziehend durchbringen müssen. In den Arbeitsfeldern der Sorgearbeit gibt es schlechtere Arbeitsbedingungen, meist Schichtbetrieb, zu wenig Personal und ständiger Druck auf die Kolleg*innen in kürzerer Zeit ihre Arbeit zu leisten. Zusätzlich sind sie durch die häusliche Sorge-Arbeit belastet, die zu einem größeren Prozentsatz an ihnen hängen bleibt.

Aber den warmen Worten und dem allabendlichen Klatschen vom Balkon müssen jetzt Taten folgen, die bei den Betroffenen auch ankommen. Die neoliberalen Entwicklungen der letzten Jahre gingen immer zu Lasten der unteren Einkommensgruppen und der Beschäftigten. Durch Lohnkürzungen, Outsourcing, Werkverträge, die Ausweitung von Minijobs, die vorwiegend von Frauen, die damit keine Rentenansprüche erwerben, ausgeübt werden, haben sich die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser sogenannten systemrelevanten Beschäftigten schon vor der Corona-Krise systematisch verschlechtert.

  • Um besser aus der Krise zu kommen, müssen die Rechte der Arbeitnehmer*innen und die Bedingungen der Arbeit grundsätzlich neu definiert und gestärkt werden. Dabei bezieht sich DIE LINKE ausdrücklich nicht nur auf die Bezahlung von Arbeit. Die zunehmende räumliche, zeitliche und organisatorische Entgrenzung von Arbeit braucht klare gesetzliche Regelungen.
  • Der Mindestlohn muss für alle Beschäftigen so armutsfest gestaltet werden, dass nach 40 Beschäftigungsjahren eine Rente erzielt werden kann, die deutlich über der Grundsicherung liegt. DIE LINKE fordert die sofortige Anhebung des Mindestlohns auf 13 Euro, perspektivisch auf 14 Euro.
  • Betriebe, die öffentliche Aufträge erhalten, sollen sich zur Zahlung von Tariflöhnen (Tariftreue), mindestens aber den Mindestlohn sowie auf Engagement bei der Ausbildung und auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards verpflichten.
  • Die Gehälter im Management und von Vorständen müssen gesetzlich begrenzt werden. Ein Vorstandsmitglied sollte nicht mehr als das 20-fache dessen verdienen, was ein*e Arbeiter*in in der untersten Gehaltsgruppe im Unternehmen bekommt.
  • Wir wollen eine Arbeitswelt in der Arbeitszeiten spürbar kürzer sind als heute - bei vollem Lohnausgleich. Eine „kurze Vollzeit“ von 28 bis 30 Wochenstunden oder eine Vier-Tage-Woche ist das Ziel. Eine Arbeitswelt, in der der Grundsatz gilt: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Für Heimarbeit und mobiles Arbeiten bedarf es klarer gesetzlicher Regeln, u.a. ein Recht auf Nichterreichbarkeit und Feierabend. DIE LINKE lehnt die Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes und die Einführung von Wochenhöchstzeiten entschieden ab. Die Sonntagsarbeit darf nicht ausgeweitet werden.
  • Die Möglichkeiten der Digitalisierung müssen so genutzt werden, dass sie den Beschäftigten zugutekommen. Dafür ist deren direkte Beteiligung unabdingbar.
  • Personal- und Betriebsräte stärken: Die Mitbestimmungsgremien müssen zukünftig paritätisch auch über wirtschaftliche Angelegenheiten in den Betrieben mitentscheiden können. Hierzu zählen auch die Fragen von Outsourcing und Betriebsschließungen.
  • Tarifverträge schützen die Beschäftigten, das zeigt sich gerade in der Krise. Deshalb müssen bestehende Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich für die gesamte Branche erklärt werden können (dringend erforderlich in der Altenpflege).
  • Fort- und Weiterbildungen muss gerade jetzt in der Krise massiv gefördert werden. Ein Transformations-Kurzarbeitergeld kann beim sozial-ökologischen Umbau eine zentrale Rolle spielen.
  • Werkverträge, Minijobs und Leiharbeit müssen die Ausnahme bleiben. Das Normalarbeitsverhältnis muss unbefristet, in Vollzeit und sozialversicherungspflichtig sein.
  • Schutz von Freelancern und Clickworkern: Sie müssen rechtlich abgesichert werden. Dem Unterbietungswettbewerb beim Arbeitsentgelt in der Plattformökonomie muss Einhalt geboten werden.
  • Der betriebliche Arbeitsschutz muss ernst genommen und regelmäßig vor Ort kontrolliert werden. Durch Gefährdungsbeurteilungen müssen alle arbeitsbedingten Belastungen erfasst, bewertet und geeignete Mittel zu deren Beseitigung entwickelt werden. Hierzu gehört auch der Bereich der psychischen Belastungen.
  • Die hessische Landesregierung muss alle Finanzierungen von Aufträgen an Dritte sowie von Projekten daraufhin ausrichten, dass gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit gezahlt wird und bei Teilzeitarbeitsverträgen Beiträge zu Betriebsrenten übernommen werden.

3. Sozial-ökologischer Neustart der Wirtschaft – Das kommende Neue fördern, nicht alte Strukturen wiederbeleben

Öffentliche Investitionen (siehe 1.) werden für einen „Neustart“ nach der Coronakrise die zentrale Rolle spielen. Aber auch der Umbau der privaten Wirtschaft muss in Richtung eines sozial-ökologischen Umbaus erfolgen. Dafür sind auch staatliche Investitionshilfen notwendig. Diese müssen gemeinwohlorientiert wirken, gute Arbeit mit Löhnen sichern, die auch im Alter eine armutsfreie Existenz ermöglichen. Staatliche Investitionsprogramme dürfen keine fossile Wirtschaft mehr stützen und staatliche Krisenhilfen für Konzerne darf es nur gegen einen ökologischen Mehrwert geben. Um das 1,5-Grad-Ziel noch halten zu können, braucht Hessen noch in diesem Jahr verbindliche Klimagasreduktionsziele für alle Sektoren (Verkehr, Landwirtschaft, Industrie, Gebäude). Für ein nachhaltiges Wirtschaften verbrauchen wir immer noch zu viele Ressourcen. Stoffströme müssen verringert werden. Konsumförderung um des Profits willen, ist kein Zukunftsmodell.

  • DIE LINKE unterstützt den Vorschlag des DGB Hessen-Thüringen, eine Landes-Holding zu schaffen, durch die bedrohte Unternehmen gerettet und Beschäftigung gesichert werden kann. Staatliche Hilfen sind an Bedingungen zu knüpfen. Hierzu gehören Arbeitsplatzsicherung, vertiefte Mitbestimmung der Beschäftigten, Tarifbindung, Ausrichtung auf den sozial-ökologischen Umbau, keine Dividendenzahlungen, Rückzug aus Steueroasen und gedeckelte Managementgehälter.
  • Jetzt ist die Gelegenheit für eine Digitalisierungsoffensive für die Landes- und Kommunalverwaltungen. Daneben müssen die Mittel für den Digitalpakt entsprechend dem tatsächlichen Bedarf der Schulen sowie der dort Beschäftigten und der Schüler*innen aufgestockt werden. Für soziale Unternehmen sollen gesonderte Mittel zur Digitalisierung bereitgestellt werden.
  • Wir wollen die regionale Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung stärken, sozialer, umweltverträglicher und klimafreundlicher machen, statt globale Agrarindustrie zu fördern. Zur Stärkung der Nachfrage nach regional und ökologisch erzeugten Lebensmitteln braucht es eine verbindliche Regionalquote für Lebensmitteln im Einzelhandel und allen Kantinen, von den Kindergärten über die Universität bis hin zu Krankenhäusern, Firmen und Altersheimen. Regional, ökologisch und tarifgebunden arbeitende Kantinen sollen vom Land gefördert werden. In allen Bildungseinrichtungen wird das Essen beitragsfrei angeboten.
  • Förderprogramm zur Energieeinsparung insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen
  • Passgenaue Maßnahmen bei den großen hessischen CO2-Emittenten und Energieverbrauchern wie dem Chemiepark Höchst, dem Zementproduzenten Dyckerhoff, dem Kraftwerk Staudinger oder der Lufthansa am Flughafen Frankfurt. Für die energieintensive Industrie und die Luftfahrt soll der Aufbau einer gesicherten Versorgung mit grünem Wasserstoff eingeleitet werden. Zentrale Herausforderung ist dabei allerdings die Produktion ausreichender Mengen erneuerbaren Stroms.
  • Forschungs- und Förderprogramm Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen in Verbindung mit dem Wohnungsbauprogramm (siehe 1.) und Nachverdichtung in städtischen Bereichen
  • Ein Investitionsprogramm zum Aufbau einer echten Kreislaufwirtschaft mit hohen Recyclingquoten.
  • Der tiergerechte und ökologische Umbau der Nutztierhaltung muss gefördert werden.
  • Für den sozial-ökologischen Umbau ist es wichtig, die Fachkenntnisse der Beschäftigten in den Unternehmen zu mobilisieren. Dafür braucht es eine Politik, die die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften als Partner*innen stärkt und die Mitbestimmung darauf ausweitet, welche Waren und Dienstleistungen wann und wie produziert werden.
  • Weitere Hilfen für Hilfen für besonders betroffene Berufsgruppen wie Solo-Selbständige, Künstler*innen, Veranstaltungs- und Eventorganisatoren und Gaststätten sind notwendig. Diese dürfen müssen neben den laufenden betrieblichen Kosten auch die Kosten des Lebensunterhalts ausgleichen.
  • Der Luftverkehr ist für Hessen von besonderer Bedeutung. Der dramatische Einbruch im Luftverkehr muss zum Anlass genommen werden, auf europäischer Ebene eine soziale, ökologische und zukunftsfähige Re-Regulierung vorzunehmen. Im Zentrum muss dabei die Unterbindung von Geschäftsmodellen stehen, die durch Dumping-Löhne und Umgehung von arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regeln gekennzeichnet sind, sowie die beschleunigte und gesicherte Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens durch weniger Flüge, klimaneutrale Treibstoffe und eine Verlagerung von Flugverkehr auf die umweltfreundliche Bahn.
  • Unternehmen mit Sitz oder Tochtergesellschaften in einer Steueroase erhalten keine staatlichen Hilfen. Gewinnausschüttungen, Bonuszahlungen für Manager und Aktienrückkäufe sind zu untersagen.

4. Leistungsfähigen Sozialstaat und soziale Infrastruktur ausbauen                                 

Die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland – Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- (Kurzarbeitergeld) und Pflegeversicherung - haben sich als nicht ausreichend, aber trotz aller schädlichen Kürzungen der vergangenen Jahre als außerordentlich wichtig erwiesen. Sie verhindern für Millionen den Fall ins Bodenlose, sichern eine Untergrenze gesellschaftlicher Solidarität und sind auch ökonomisch wichtige Stabilisatoren gegen einen noch tieferen Einbruch. Auf Bundesebene liegen Vorschläge zur Stärkung der Sozialversicherung vor (bedarfsorientierte sanktionsfreie Grundsicherung statt Hartz IV, solidarische Mindestrente, Bürgerversicherung und Aufhebung des Zwei-Klassen-Systems von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, Vollversicherung für Pflege).

Durch den Wegfall der Mittagsessensverpflegung über das Bildungs- und Teilhabepaket sowie gestiegene Lebensmittelpreise sind gerade arme Familien und alleinerziehende (meist) Frauen besonders dramatisch betroffen. Wir fordern einen Sofort-Aufschlag auf die Grundsicherung von 200 Euro. Die Anrechnung des Partnereinkommens in der Bedarfsgemeinschaft muss befristet ausgesetzt werden. Eine Kindergrundsicherung von 600 Euro soll Kinder vor Not und Armut schützen. Die Kommunen sollen verpflichtet werden, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft vollständig zu übernehmen.

Die Corona-Krise zeigt, dass die gesellschaftliche Organisation von Care-Arbeit gering ausgeprägt ist. In den letzten Jahren hat sich das bei der Kinderbetreuung zwar verbessert, so dass Eltern im Vertrauen darauf ihren Alltag organisiert haben. Somit hat die Schließung von Kitas und Schulen massive Konsequenzen für Eltern und Kinder. Dadurch sind alte Rollenzuschreibungen wieder aktiv geworden, nicht nur alleinerziehende Mütter sind vor unlösbare Probleme gestellt. Die Kita ist Bildungs-und Sozialisationseinrichtung für Kinder und bietet ihnen Schutz, sie ist die Bedingung für berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit sowie Bildung von Eltern und damit für ein gesellschaftliches Funktionieren unabdingbar. Dies gilt auch für die Betreuung von Grundschulkindern und den Ganztagsschulbetrieb.

Die Versorgung von alten Menschen wird allerdings vorwiegend der familiären Sorge überlassen. In den Altenheimen kam es nach den ersten heftigen Infektionen zu einer vollständigen Abschottung, so dass Bewohner*innen ihrer Freiheit und des Kontakts mit Angehörigen beraubt wurden. Trotzdem gab es viele Infektionen, da selbst das Pflegepersonal kaum getestet wurde. In der Pflege muss jetzt ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden. Sie sollte – wie in den nordischen Ländern – als kommunale Aufgabe organisiert werden. Der Personalnot kann nur mit besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen begegnet werden.  
Auch die Leistungen der Sozialverbände und anderer nichtstaatlicher Träger haben sich in der Krise als „systemrelevant“, aber nicht ausreichend sicher gezeigt. Wir brauchen eine vertraglich abgesicherte Finanzierung von Leistungen, die im Auftrag der öffentlichen Hand erbracht werden.

Der öffentliche Gesundheitsdienst ist unabhängig von Pandemien auszubauen. Seine Aufgaben nehmen zu und die Kommunen sind nicht in der Lage, die Finanzierung selbst zu stemmen. Gesundheitsämter leisten mit Prävention, mit Überwachung von Gesundheitsgefahren und der Durchsetzung von Hygienemaßnahmen vor Ort Wesentliches für die Gesundheit der Bevölkerung sorgen.
Investitionen auf Landesebene sind erforderlich

  • für Neu- und Ausbau von Kitas (mehr Kinder, größere Freigelände, Begegnung Jung-Alt ermöglichen), die Schaffung von Jugendbegegnungsräumen (Kita – Ausbildung und Anleitung 9,4 Millionen, Ausbau 200 Millionen Euro pro Jahr, mittelbare pädagogische Arbeit finanzieren 200 Millionen Euro pro Jahr, Beitragsfreiheit 450 Millionen Euro pro Jahr, u.a. Kompensation für Kommunen, die die Kinderbetreuung während des Betretungsverbots beitragsfrei gestellt haben, Programm für kommunale Jugendarbeit und Beteiligung auflegen mit 8 Millionen Euro)
  • Stärkung der Maßnahmen gegen häusliche Gewalt, u.a. Frauenhäuser nach den Empfehlungen der Istanbul-Konvention (50 Millionen Euro pro Jahr)
  • Ausbau der Gesundheitsämter: räumlich, personell, technisch (100 Millionen Euro pro Jahr)
  • Gesundheitszentren vor Ort und Kommunalisierung der Altenpflege, auch zur Stärkung der häuslichen Pflege (Modellprojekte mit 50 Millionen Euro fördern), Verbesserung der Hebammenversorgung 400.000 Euro, Gesundheitsversorgung für alle 6,8 Millionen pro Jahr
  • Bekämpfung Arbeitslosigkeit, unabhängige Beratung und öffentliche Beschäftigung (16 Millionen Euro pro Jahr)
  • Aktionsprogramm „Wohnungslosigkeit überwinden“ mit einer Laufzeit von vier Jahren (Umfang 8 Mio. Euro).
  • Zusätzliche Personalstellen sind insbesondere notwendig in der frühkindlichen Bildung, in der Altenpflege und der Kinder- und Jugendhilfe. Unterbesetzte Schichten und überlastete Beschäftigte müssen der Vergangenheit angehören. Ziel ist eine menschengerechte Arbeitswelt, in der Sorgearbeit einen viel höheren Stellenwert hat als bisher!
  • Soziale Einrichtungen, die aufgrund der Corona-Krise nur eingeschränkt tätig werden konnte, muss dennoch die vollständige Finanzierung durch die öffentliche Hand zukommen.

5. Umverteilung und sozialer Ausgleich als Grundlage zukunftsfähiger Entwicklung

Die aktuelle Krise erfordert es, dass der Staat enorme Summen bereitstellt um die soziale Notlage von Menschen zu lindern, Unternehmen und Arbeitsplätze zu sichern und die Pandemie erfolgreich zu überwinden. Jetzt geht es darum, nach dem tiefen wirtschaftlichen Einbruch einen Neustart aus der Krise zu finanzieren.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen

  • der unmittelbaren Bewältigung der Krisenlasten und der sinkenden Steuereinnahmen,
  • ohnehin dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen in großem Umfang und dem
  • auf Dauer notwendigen Ausbau sozialstaatlicher Leistungen.

Für die unmittelbaren Folgen der Krise braucht es einen neuen Lastenausgleich. DIE LINKE schlägt vor, die Kosten der Krise über einen längeren Zeitraum durch eine Abgabe auf große Vermögen abzutragen. Eine solche Vermögensabgabe ist im Grundgesetz vorgesehen und wurde in der BRD bereits erfolgreich für die Bewältigung der Kriegsfolgen in den 50er Jahren eingesetzt. Die obersten Ein-Prozent der Vermögenden – das sind 400.000 Haushalte mit einem Nettovermögen von 2,5 Millionen Euro oder mehr - besitzen mehr als ein Drittel des gesamten Vermögens in Deutschland (rund 3,5 Billionen Euro). Je nach Höhe eines Freibetrags (eine oder zwei Millionen Euro) und dem Abgabensatz (20, 30 oder mehr Prozent) könnten so – verteilt über zehn Jahre – zwischen 100 und bis zu 500 Milliarden Euro Einnahmen erzielt werden. Damit kann verhindert werden, dass die öffentliche Hand zum Sparen im Sozialbereich gezwungen wird.

Nach Jahrzehnten der Umverteilung von unten nach oben ist es an der Zeit, das System von Steuern und Abgaben endlich in Richtung eines sozialen Ausgleichs umzugestalten. Mit einer Vermögensteuer für Privatvermögen oberhalb von einer Million Euro und der Streichung überzogener Ausnahmen bei der Erbschaftssteuer würden dem Land Hessen jährlich zusätzliche Steuereinnahmen von 2,1 Mrd. Euro zufließen. Auf Bundesebene bedarf es einer Einkommensteuerreform, die die Steuerlast vor allem auf große Einkommen verschiebt und kleine und mittlere Einkommen entlastet sowie einer Finanztransaktionssteuer, um Zockereien an den Finanzmärkten endlich einzudämmen.
Notwendige öffentliche Investitionen in Krankenhäuser, Busse und Bahnen, Kitas und Schulen oder bezahlbare Wohnungen können und dürfen nicht aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert werden. Langlebige Infrastruktur muss auch auf die Dauer ihrer Nutzung mit Hilfe von Krediten finanziert werden. Dafür ist die ohnehin ausgesetzte Schuldenbremse in der Landesverfassung durch eine entsprechende Vorschrift („Goldene Regel“) zu ersetzen. Für Hessen schlagen wir eine zusätzliche Kreditaufnahme für Investitionen von jährlich zwei Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre vor.

Die geplante Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 12 Milliarden durch die schwarzgrüne Landesregierung zur Bewältigung der Corona-Krise ist ein Eingeständnis in das Scheitern der Schuldenbremse und ihrer Unvereinbarkeit mit der Realität. Abhängig von konjunkturellen Entwicklungen engt sie die Spielräume öffentlicher Haushalte ein und erschwert entschlossenes Handeln in der Krise. Mit dem mehrjährig angelegten Sondervermögen möchte die Regierung vor allem verhindern, dass jedes Jahr von neuem die Schuldenbremse ausgesetzt werden muss. Statt eines starren 30-jährigen Tilgungsplans, wie ihn die Regierung anstrebt, fordern wir eine konjunkturabhängige Tilgung in 50 Jahren, um Sozialkürzungen und Sozialabbau zu verhindern. Das Sondervermögen birgt auch die Gefahr, die Kontrolle durch den Haushaltsgesetzgeber einzuschränken. Die Schuldenbremse ist nicht nur auszusetzen, sondern zu überwinden.

In der Corona-Krise trafen die Städte, Gemeinden und Landkreise zusätzliche finanzielle Belastungen, z.B. durch Mehrkosten für Hygiene und Mindereinnahmen bei den Elternbeiträgen für die Kinderbetreuung, während die Einnahmen aus der Gewerbesteuer einbrechen. Die Gewerbesteuer muss deshalb weiterentwickelt werden zu einer Gemeindewirtschaftsteuer. Diese soll die Finanzierung der Kommunen weniger abhängig von der Wirtschaftslage machen und mehr Gruppen einbeziehen. Auf Bundesebene muss die Landesregierung die Gespräche mit dem Bund und den Ländern über eine Altschuldenregelung für Kommunen zu einem schnellen Erfolg bringen. Der kommunale Anteil zur Refinanzierung der HessenKasse soll ausgesetzt werden.


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